Die Studie „Exzellenz kommt nicht von alleine – Öffentliche Investitionsbedarfe und deren Finanzierung in Baden-Württemberg“ untersucht die Bereiche Klimaschutz, Infrastruktur, Wohnen, Gesundheit und Bildung. Die ermittelten Investitionsbedarfe sind immens. Großes wirtschaftliches Leistungsvermögen des Landes und staatliche Investitionsrückstände bilden einen deutlichen Widerspruch. Baden-Württemberg hat eine gute Ausgangslage, um die entscheidenden Zukunftsthemen Dekarbonisierung, Digitalisierung und Demografie zu bewältigen. Das Land hat aber auch viel zu verlieren. Die gute Nachricht: Der Südwesten kann sich besser auf die Zukunft vorbereiten als es die amtierende Landesregierung aktuell tut. Die Mittel für die sozial-ökologische Transformation, für eine bessere Daseinsvorsorge und für mehr Bildungsgerechtigkeit sind zum Teil bereits vorhanden oder können mit einer klugen Finanzpolitik mobilisiert werden. Die Studie zeigt neben den Investitionsbedarfen die Instrumente, wie mehr öffentliche Investitionen finanziert werden können. Die wesentlichen Ergebnisse im Überblick:
1. Struktur und Innovation
Baden-Württemberg ist der führende Industriestandort in Deutschland. Das Land weist eine hohe Industriedichte, Innovationsstärke und eine hohe Produktivität auf. Auch Beschäftigung und Einkommen liegen auf einem hohen Niveau. Gleichwohl sind diese Stärken auch potenzielle Risiken und Schwachpunkte einer zukünftigen Entwicklung. So sinkt der Produktivitätsvorsprung, und der Fachkräftemangel hemmt das Wachstum. Zudem ist die Industrie- und Exportstärke angesichts der Transformationen in der Energiewirtschaft und der Automobilindustrie sowie protektionistischen Tendenzen im Welthandel erkennbaren Risiken ausgesetzt. Das Wirtschaftswachstum Baden-Württembergs fällt auf den westdeutschen Durchschnitt zurück (Abb. 1.1). Dies ist zu wenig für den Exzellenzanspruch im deutschen Südwesten.
2. Investitionen
Die gesamtwirtschaftlichen Investitionen verhindern auch in Baden-Württemberg nicht den Rückgang der Modernität des Kapitalstocks, also des Bestandes an Sachkapital in einer Volkswirtschaft (z.B. Gebäude, Maschinen, Straßen, Schienen sowie Ausgaben für Forschung und Entwicklung). Dies ist ein Risiko für zukünftige Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung. Weitgehend anerkannt ist heute, dass sich private und öffentliche Investitionen ergänzen. Ein Euro öffentlicher Investitionen zieht 1,50 Euro privater Investitionen nach sich. Die Nettoanlageinvestitionsquote des Staates liegt in Deutschland seit fast 30 Jahren bei null. Das heißt, die Bruttoanlageinvestitionen decken gerade einmal die Abschreibungen. Insbesondere die kommunalen Investitionen sind per Saldo gesunken. Die gravierenden Mängel der Infrastruktur und andere nur schwach aufgestellte Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge – etwa das Gesundheitswesen – behindern die soziale und wirtschaftliche Entwicklung in Baden-Württemberg.
3. Klimaschutz/Transformation
Baden-Württemberg will bis 2040 klimaneutral werden. Der dafür notwendige CO2-Abbaupfad wird bisher aber nicht erreicht. Zur Wahrheit gehört: Die Transformation zu einer klimaneutralen Produktions- und Lebensweise birgt für den Industriestandort Baden-Württemberg mit seiner energieintensiven Wertschöpfung Risiken. Sie bietet aber auch große Chancen. Die Investitionsgüterindustrie in Baden-Württemberg kann mit ihrer Kompetenz und Innovationskraft neue Wachstumsmärkte erschließen. Zur Erreichung der Klimaneutralität im Jahr 2040 muss das Land Baden-Württemberg in den kommenden zehn Jahren insgesamt 54 Mrd. EUR investieren.
4. Infrastruktur
Trotz vergleichsweise hoher und gestiegener öffentlicher Investitionen gelingt es Land und Kommunen nicht, den aufgelaufenen Investitionsstau in nennenswerter Weise abzubauen. Der Werteverzehr beim Infrastrukturvermögen (etwa Schienen, Straßen, Brücken) und bei den technischen Anlagen und Maschinen (etwa Kraftwerken) setzt sich fort. Zum Abbau der Altlasten und für einen adäquaten Ausbau der Infrastruktur muss Baden-Württemberg in den kommenden zehn Jahren insgesamt 53 Mrd. EUR investieren.
5. Wohnungswesen
Kein anderes Bundesland weist eine so große Lücke zwischen Bedarf und Angebot an mietpreisgebundenen Wohnungen auf wie Baden-Württemberg. 2023 wurden trotz verbesserter Wohnraumförderung des Landes effektiv nur knapp 800 mietpreisgebundenen Wohnungen neu erstellt. Mittels einer neu zu gründenden Landeswohnungsbaugesellschaft sollten jährlich insgesamt 13.000 neue mietpreisgebundenen Wohnungen erstellt werden. Hierfür müsste das Land in den kommenden zehn Jahren insgesamt 18 Mrd. EUR investieren.
6. Gesundheit
Die Krankenhausinvestitionen decken auch in Baden-Württemberg nicht den Bedarf. Hinzu kommt der Abbau des Investitionsstaus der vergangenen Jahre. Auch in der Pflege muss die Kapazität ausgebaut werden. Der Südwesten muss in den kommenden zehn Jahren insgesamt zwölf Mrd. EUR in das Gesundheitswesen investieren.
7. Bildung
Im Bildungsbereich schneidet Baden-Württemberg überwiegend gut ab. Doch auch hier droht eine gute Ausgangslage verloren zu gehen. Kein anderes Land hat in Bildungsrankings zwischen 2013 bis 2023 so viel verloren wie Baden-Württemberg. Zum Abbau des Investitionsstaus und der Deckung der Bedarfe in Kitas, Schulen, Hochschulen und Universitätskliniken muss das Land in den kommenden zehn Jahren 28 Mrd. EUR öffentliche Gelder investieren.
8. Finanzen
Baden-Württemberg ist ein finanzstarkes Land. Die Staatsverschuldung ist vergleichsweise niedrig, und die Reserven im Staatshaushalt sind trotz der verschiedenen Krisen außerordentlich hoch. Dank vergleichsweise niedriger Sozialausgaben sind die kommunalen Investitionen relativ hoch. Hingegen fallen die Investitionen aus dem Landeshaushalt recht niedrig aus. Zudem holen andere Bundesländer deutlich auf, und der Südwesten droht auch hier durchschnittlich zu werden. Die gute Nachricht: Die Finanzpolitik des Landes ist flexibel und handlungsfähig. Gleichwohl wird sie mit den bestehenden Ansätzen die strukturellen Herausforderungen nicht lösen können. Die Stärkung der öffentlichen Investitionen ist nicht nur ein finanzielles Problem, sondern auch ein institutionelles. Komplexe Antrags- und Genehmigungsverfahren sowie unzureichende personelle Kapazitäten sind Flaschenhälse. Diese müssen geweitet werden, wenn vorhandene und zukünftig hoffentlich erhöhte Investitionsmittel dort ankommen sollen, wo sie dringend gebraucht werden.
9. Finanzpolitik in Baden-Württemberg
Die finanzpolitische Gestaltung stößt derzeit immer wieder an ihre Grenzen durch die Schuldenbremse. Eine Reform der Schuldenbremse wird deutschlandweit zunehmend breiter gefordert, auch von Mitgliedern der baden-württembergischen Landesregierung. In diese Richtung haben sich sowohl Ministerpräsident Kretschmann als auch Finanzminister Bayaz geäußert. Die Landesfinanzpolitik hat in den vergangenen Jahren die bestehenden Kreditmöglichkeiten genutzt (Konjunkturkomponente, Notsituationskredite). Große Spielräume bestehen aber noch in der Nutzung von öffentlichen Investitionsgesellschaften, Beteiligungen und der Landeskreditbank (L-Bank).
10. Fazit
Baden-Württemberg ist wirtschaftlich und finanziell stark. Um diese Stärke zu erhalten, muss aber mehr getan werden als bisher. Die absehbaren Herausforderungen bergen Risiken und Chancen für das Land. Die in den zurückliegenden Jahrzehnten vernachlässigte öffentliche Infrastruktur belastet Wirtschaft und Gesellschaft. Hinzu treten neue Herausforderungen wie Klimawandel, Digitalisierung und Demografie. Diese erhöhen den finanzpolitischen Handlungsbedarf erheblich und sind nicht beliebig aufschiebbar. Die hier aufgezeigten staatlichen Investitionsbedarfe summieren sich auf 165 Mrd. EUR in den kommenden zehn Jahren (Tab. 1.1 u. Abb. 1.2). Selbst unter der Schuldenbremse in ihrer derzeitigen Form ist im Ländle finanzpolitisch mehr möglich. Ferner wäre ohne Schuldenbremse und mit Ansätzen zur Weiterentwicklung des föderalen Systems in Deutschland noch weitaus mehr zur Bewältigung der anstehenden, großen Aufgaben gestaltbar (Bayaz: ‚neue Föderalismuskommission‘). ‚Ein Weiter so wie bisher‘ ist für Baden-Württemberg das weitaus größere Risiko als mit einer mutigen Finanzpolitik innovative Wege zu gehen. Exzellenz kommt eben nicht von alleine.