Das Ausmaß der Gewalt gegenüber Beschäftigten im öffentlichen Dienst ist alarmierend. Vor dem Hintergrund hat der DGB Baden-Württemberg heute zu einer Fachtagung unter dem Titel „Gewalt gegen Beschäftigte in der Arbeitswelt” ins Willi-Bleicher-Haus eingeladen. Mehr als 60 Teilnehmer*innen aus Betrieben und Verwaltung diskutieren gemeinsam mit Verkehrsminister Winfried Hermann und Städtetagpräsident Frank Mentrup über Strategien zur Prävention und Nachsorge.
Zahlen belegen den Ernst der Lage: Zwei Drittel der Beschäftigten im öffentlichen Dienst sowie in vergleichbaren Tätigkeiten in der Privatwirtschaft haben in den vergangenen Jahren Gewalt am Arbeitsplatz erlebt – in Form von verbalen Beleidigungen, psychischem Druck oder körperlichen Übergriffen. Besonders betroffen ist der Verkehrssektor: 70 Prozent der dort Beschäftigten berichten von Gewalterfahrungen.
Die Folgen sind gravierend: Fast ein Drittel der Betroffenen wurde nach einem Vorfall krankgeschrieben, mehr als zehn Prozent leiden unter langfristigen psychischen Beschwerden.
Noch immer ist das Dunkelfeld sehr groß. Schätzungsweise 70 Prozent der Betroffenen melden die Vorfälle nicht. „Wir ermutigen Beschäftigte ausdrücklich, erlebte Gewalt zu melden – nur so kann individuelle Unterstützung erfolgen und können Arbeitgeber wirksame Maßnahmen ergreifen“, sagte Maren Diebel-Ebers, die stellvertretende Vorsitzende des DGB Baden-Württemberg.
Sie kritisierte, dass es immer noch kein vollständiges Lagebild für Baden-Württemberg gibt: „Wir haben die Landesregierung bereits 2020 aufgefordert, flächendeckend Daten zu erfassen. Ein inzwischen abgeschlossenes Pilotprojekt war ein erster Schritt. Jetzt muss der zweite folgen: eine systematische Erhebung im gesamten öffentlichen Dienst. “
Der DGB hat gegenüber Land und Kommunen wiederholt Vorschläge zur Verbesserung des Schutzes gemacht. Dazu gehören u.a.:
- Sensibilisierung von Führungskräften
- Abschluss von Betriebs- und Dienstvereinbarungen mit klaren Schutzregelungen
- Trainings für Beschäftigte zum Umgang mit eskalierenden Situationen
- technische Schutzmaßnahmen wie Notrufknöpfe an exponierten Arbeitsplätzen
„Ob im ÖPNV, in der Pflege, in Behörden oder an Schulen: Beschäftigte sind zunehmend Anfeindungen ausgesetzt. Als DGB fordern wir: Schutz darf kein Zufall sein. Gewalt darf kein Teil der Arbeitswelt sein. Die Arbeitgeber sind in der Pflicht, verbindliche und wirksame Schutzmaßnahmen umzusetzen. Wer zur Arbeit geht, muss sich sicher fühlen können“, forderte Maren Diebel-Ebers.
Martin Gross, Landesbezirksleiter ver.di Baden-Württemberg, sagte bei seiner Begrüßung: „Etwas ist aus dem Gleichgewicht geraten. Weil Menschen, die tagtäglich dafür sorgen, dass unsere Städte funktionieren, dass Kinder zur Schule, Pflegekräfte zur Arbeit oder Ältere zum Arzt kommen – weil genau diese Menschen immer häufiger Ziel von Gewalt werden. Gewalt gegen Beschäftigte im öffentlichen Personennahverkehr ist kein Randphänomen mehr. Sie ist bittere Realität – in Bussen, Bahnen, an Haltestellen. Und sie trifft nicht nur einzelne, sie trifft uns alle. Denn jede Beleidigung, jeder Angriff, jede Bedrohung ist ein Angriff auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Und damit auch auf die Funktionalität unserer Daseinsvorsorge. Was wir brauchen, sind klare gesetzliche Rahmenbedingungen und konsequente Strafverfolgung. Aber wir brauchen auch Investitionen in Prävention und in Schulungen. Sicherheit ist kein ,Nice-to-have‘. Sie ist eine zentrale Grundvoraussetzung für gute Arbeit. Wer Personal halten und neues gewinnen will, muss ausreichend Schutz bieten.“
Frank Mentrup, Oberbürgermeister der Stadt Karlsruhe und Präsident des Städtetags Baden-Württemberg, sagte in seinem Grußwort: „Gewalt gegen Beschäftigte im öffentlichen Dienst ist längst kein Randphänomen mehr – sie betrifft Menschen, die tagtäglich im direkten Kontakt mit Bürgerinnen und Bürgern stehen und den Staat sichtbar machen. Wenn Beschäftigte in Bürgerämtern, Ausländerbehörden oder im öffentlichen Nahverkehr beleidigt, bedroht oder körperlich angegriffen werden, dann ist das nicht nur ein gravierendes Arbeitsschutzproblem. Es ist auch ein Angriff auf unsere demokratische Grundordnung.
Die Kommunen nehmen diese Entwicklung sehr ernst. Viele Kommunen haben bereits konkrete Maßnahmen ergriffen – von technischen Schutzsystemen bis hin zu psychosozialer Nachsorge und Fortbildungen. Aber das kann und darf nicht allein Aufgabe der kommunalen Ebene bleiben. Wir brauchen landesweite Standards, eine verlässliche Datenbasis und eine politische Kultur, die klar signalisiert: Wer für das Gemeinwohl arbeitet, steht nicht allein. Prävention, Schutz und gesellschaftlicher Rückhalt müssen Hand in Hand gehen.“
Winfried Hermann, Minister für Verkehr des Landes Baden-Württemberg, betonte: „Die Wahrscheinlichkeit am Arbeitsplatz Gewalt zu erfahren, ist für Beschäftige im öffentlichen Verkehr bis zu viermal höher als die Beschäftigten anderer Bereiche. Wir als Landesregierung nehmen das nicht hin. Wer morgens den Bus lenkt, abends Fahrkarten kontrolliert und uns von A nach B bringt, verdient Schutz, Solidarität und politische Rückendeckung. Wir müssen zusammenarbeiten. Politik, Unternehmen, Gewerkschaften und Gesellschaft treten gemeinsam Hand in Hand für einen gewaltfreien ÖPNV ein.“
Hintergrund:
Alle Infos zur Kampagne „Vergiss nie, hier arbeitet ein Mensch“ finden Sie hier: https://mensch.dgb.de/