Der DGB Baden-Württemberg schlägt Alarm: Die Zahl der von der Arbeitsschutzaufsicht kontrollierten Betriebe ist in den letzten zehn Jahren dramatisch eingebrochen. Während 2013 noch 12.623 Betriebe überprüft wurden, waren es 2023 nur noch 3.386 – ein Rückgang von 73 Prozent. Grund für diesen drastischen Rückgang ist die unzureichende Personalausstattung der Aufsichtsbehörden, die weit unter internationalen Standards liegt.
Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) empfiehlt eine Aufsichtsperson für 10.000 Beschäftigte. In Baden-Württemberg jedoch betreut eine einzelne Aufsichtsperson derzeit 17.404 Beschäftigte – weit mehr als die empfohlene Zielmarke. „Jetzt braucht es dringend ein Umdenken“, fordert Maren Diebel-Ebers, stellvertretende Vorsitzende des DGB Baden-Württemberg.
Mit Blick auf die neue Mindestbesichtigungsquote, die ab 2026 im Arbeitsschutzgesetz festgeschrieben ist, sieht der DGB das Land vor großen Herausforderungen. Ab diesem Zeitpunkt müssen jährlich 5 Prozent der Betriebe kontrolliert werden. „Dieses Ziel ist ohne eine deutliche Aufstockung des Personals nicht zu erreichen“, so Diebel-Ebers weiter. „Arbeitsschutz ist Gesundheitsschutz. Unzureichender Arbeitsschutz geht immer zu Lasten der Beschäftigten.“
Einblick in die Praxis
Um die Bedeutung des Themas Arbeitsschutz greifbar zu machen, hat der DGB einen Kurzfilm erstellt. Der Film beleuchtet die Herausforderungen und zeigt, wie wichtig eine funktionierende Arbeitsschutzaufsicht für die Gesundheit der Beschäftigten ist.
Der Film ist auf www.dgb.de online verfügbar.
Zum Hintergrund
Die Zahl der Aufsichtsbeamt*innen sank in Deutschland zwischen 2002 und 2013 von 4.183 auf 2.935. Ab 2014 wurde die Statistik umgestellt (vgl. Abb. 2. Seit 2017 gab es einen leichten Personalzuwachs, von 3.151 auf 3.430 Personen im Jahr 2022. Dieser Zuwachs reicht allerdings nicht aus, um die Aufgaben der Verwaltung sachgerecht zu erledigen. Die Personalausstattung liegt in Deutschland außerdem weiter deutlich unter der Zielmarke der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), die eine Aufsichtsperson für 10.000 Beschäftigte vorsieht. In Deutschland kommen jedoch auf ein*e Arbeitsschutzinspektor*in insgesamt 22.103 Beschäftigte. In vielen Bundesländern ist die Quote noch schlechter.
Mindestbesichtigungsquote
Mit dem Arbeitsschutzkontrollgesetz wurde erstmals eine Mindestbesichtigungsquote für die staatlichen Arbeitsschutzaufsicht von 5 Prozent aller Betriebe pro Jahr festgelegt. Sie gilt ab 2026, wobei die Länder bis dahin Schritte unternehmen sollen, die Mindestbesichtigungsquote umzusetzen.
Der Wert von 5 Prozent war im Bundesdurchschnitt zuletzt vor zehn Jahren erreicht worden, seitdem ist die Quote aber drastisch zurückgegangen. Im Jahr 2022 (das sind ggw. die aktuellsten Zahlen) lag sie bei gerade einmal 2,4 Prozent, wenn alle (!) Betriebsbesichtigungen eingerechnet werden (s.u.).[1] Die Quote der einzelnen Bundesländer ist Abb. 1 zu entnehmen.
Das BMAS hat Anfang 2024 den „Zwischenbericht zur Kontrolldichte der Länder auf dem Weg zur Mindestbesichtigungsquote“ vorgelegt. Dieser enthält einen höheren Standard für die in den Zähler eingehenden Betriebsbesichtigungen. Hier werden nicht alle Besichtigungen eingerechnet, sondern es wurden „Betriebsbesichtigungen mit Systembewertung“ als Maßgabe festgelegt (vgl. Tab. 3, BmSys). Diese beinhaltet neben der Überprüfung der betrieblichen Arbeitsschutzorganisation auch die Prüfung der Umsetzung der Gefährdungsbeurteilung und der Einhaltung der rechtlichen Arbeitsschutzvorgaben.
Diesen höheren Standard hat die Bundesregierung mittlerweile in Verwaltungsvorschriften fixiert. Ihn zugrunde gelegt, ist die 2022 erreichte Besichtigungsquote noch einmal deutlich niedriger (vgl. Tab. 3, „Besichtigungsquote lt. BMAS“). Bundesweit läge sie bei 0,84 Prozent, wobei die Daten aus 2022 sicherlich noch durch die Covid-Pandemie verfälscht sind und noch nicht alles Bundesländer die Daten zur „Betriebsbesichtigungen mit Systembewertung“ vollständig erhoben haben. Aber auch trotz dieser Einschränkung wird klar: Bis zur Erreichung der 5 Prozent-Marke ist es noch ein weiter Weg.
[1] Vgl. Lenhardt (2024): Arbeitsschutzaufsicht: Ende der Talfahrt? Gute Arbeit 3/2024, S. 23ff.
TAB3 | Besichtigte Betriebe* | Betriebe lt. BA- Betriebsstatistik | Besichtigungsquote | Besichtigungsquote lt. BMAS für 2022** | ||||
2012 | 2022 | 2012 | 2022 | 2012 | 2022 | BmSys (2022) | Quote | |
BW | 12.623 | 3.386 | 276.581 | 286.289 | 4,6% | 1,2% | 807 | 0,3% |
BY | 22.887 | 7.302 | 356.695 | 377.013 | 6,4% | 1,9% | 1.212 | 0,3% |
BE | 2.812 | 1.442 | 87.810 | 101.772 | 3,2% | 1,4% | 445 | 0,4% |
BB | 6.484 | 1.969 | 66.197 | 66.438 | 9,8% | 3,0% | 1.258 | 1,9% |
HB | 1.039 | 1.102 | 16.076 | 16.363 | 6,5% | 6,7% | 225 | 1,4% |
HH | 1.842 | 1.294 | 51.612 | 56.134 | 3,6% | 2,3% | 826 | 1,5% |
HE | 7.327 | 5.163 | 159.145 | 169.514 | 4,6% | 3,0% | 1.430 | 0,9% |
MV | 5.704 | 1.189 | 48.023 | 46.344 | 11,9% | 2,6% | 656 | 1,4% |
NI | 9.995 | 4.669 | 194.970 | 201.512 | 5,1% | 2,3% | 2.074 | 1,0% |
NW | 13.715 | 11.953 | 421.799 | 441.394 | 3,3% | 2,7% | 4.446 | 1,0% |
RP | 7.420 | 3.355 | 104.544 | 105.884 | 7,1% | 3,2% | 800 | 0,8% |
SL | 1.678 | 792 | 24.981 | 24.551 | 6,7% | 3,2% | 178 | 0,7% |
SN | 4.815 | 2.059 | 115.258 | 109.222 | 4,2% | 1,9% | 758 | 0,7% |
ST | 6.139 | 2.799 | 58.424 | 54.461 | 10,5% | 5,1% | 1.669 | 3,1% |
SH | 2.905 | 1.448 | 77.011 | 80.838 | 3,8% | 1,8% | 731 | 0,9% |
TH | 2.822 | 2.152 | 61.546 | 55.106 | 4,6% | 3,9% | 710 | 1,3% |
gesamt | 110.207 | 52.074 | 2.121.265 | 2.193.492 | 5,2% | 2,4% | 18.225 | 0,8% |
*Quelle: SUGA-Bericht, Tab. TG2 **Das BMAS zählt nur „Betriebsbesichtigungen mit Systembewertung“, dadurch ist die erreichte Quote geringer. |
Leistungsfähigkeit der Aufsicht
In Deutschland ist die Zahl der Betriebsbesichtigungen durch die Arbeitsschutzaufsicht von 479.565 im Jahr 2002 auf 120.067 im Jahr 2022 gesunken. Das entspricht einem Rückgang um 75 Prozent. 52.074 unterschiedliche Betriebe wurden 2022 von der Arbeitsschutzaufsicht kontrolliert. 2002 waren es noch 197.982, der Wert sank also um 73,7 % (siehe Abb. 2).